9. Das CIMARS-Konzept - eine Ideenskizze

In der Erkenntnis der Entitäten, ihrer Beschreibung mit Zustandsgraphen und der Nutzung dieser für die Implementation von Steuerungen besteht das Wesen der CAMARS-Technologie. Die Steuerungssysteme des FMS 2200 (HOCHSTÄDT, KRÜGER) und des FMS 2500 (KÖHLER et.al.) sind mit dieser Technologie entstanden. Ihre Funktionstüchtigkeit ist in der Praxis nachgewiesen. Der wesentliche Vorteil dieser Lösungen besteht darin, die Steuerbarkeit des Basisprozesses in jeder Situation (außer totalem Rechnerausfall) zu sichern. Das können nicht viele Systeme von sich behaupten, da die einzelnen Komponenten dieser oftmals zu stark voneinander abhängen.

Durch den Entwurf "von unten" ergeben sich aber auch Nachteile. Diese bestehen vor allem in noch nicht ausgereiften Konzepten für die Behandlung von Steuerungsentitäten, insb. Dispatching- und Planungsprozesse, aber auch für den Wiederanlauf nach dem Ausfall des Systems oder eines Teilsystems. Die bisher vorhandenen Konzepte sind im FMS 2500 implementiert.

Ein weiterer Nachteil der CAMARS-Technologie besteht in ihrem geringen Verbreitungsgrad. So sind einige CAMARS-Projekte nur deshalb gescheitert, weil den Weiterbearbeitern das Verständnis für die Grundlagen dieser Software-Technologie fehlte.

Die CAMARS-Technologie ist zur Zeit in den unteren vier Ebenen des Factory Automation Models effektiv einsetzbar. Eine Ausdehnung dieser Methodik auf das gesamte CIM-Modell wäre denkbar. Es zeigt sich jedoch, daß das Factory Automation Model in seiner jetzigen Form (aus der Sicht von CAMARS) Widersprüche beinhaltet. Deshalb soll hier, quasi als Abschluß, eine Ideenskizze für die Anwendung der ARS-Technologie auf CIM-Prozesse (CIMARS-Konzept) dargestellt werden.

Neben weniger schwerwiegenden Nachteilen (Ausschließlichkeit von Sequenzen in der Steuerung der unteren Ebenen) besitzt das Factory Automation Model zwei entscheidende Fehler: Erstens bestehen die unteren vier Ebenen ausschließlich aus CAM-Prozessen und zweitens sind CAD, Datenverwaltung und strategische Produktionsplanung nur auf den beiden oberen Ebenen angesiedelt. Ersteres führt zu einer Überbewertung der Rolle der Produktionssteuerung in CIM-Systemen und letzteres zu einer absoluten Überlastung der oberen Ebenen.

Diese Nachteile resultieren aus der historischen Entwicklung von CIM. Sie begann mit der Automatisierung der Produktion (CAM), setzte sich fort in der Verbindung mit rechnergestütztem Entwurf (CAD) bis zur Einbeziehung von Management und Marketing. Da die Produktionsautomatisierung schon einen relativ hohen Stand erreicht hatte, wurden die zusätzlichen Erfordernisse eines CIM-Systems auf CAM "aufgepfropft". Das Factory Automation Model ist ein Resultat dieser Entwicklung. CIM-Konzepte müssen jedoch breiter und offener angelegt werden, sonst geraten sie früher oder später in einen Widerspruch zu ihrer materiellen Basis.

Hier wollen wir einmal den Versuch unternehmen, die vorgestellte Entwurfsmethodik von CAM-Systemen auf die Konzeption von CIM-Systemen anzuwenden. Dabei soll kein Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit im Detail erhoben werden, da es dem Autor dazu an Kompetenz fehlt. Vielmehr will sich dieser Entwurf als Diskussionspapier für Fachleute vieler Gebiete der Unternehmensführung verstanden wissen.

Den Ausgangspunkt unserer Überlegungen stellt wiederum der Basisprozeß dar. Dieser hat in einem marktwirtschaftlich orientierten Unternehmen folgende Struktur.


--->  Informationsfluß                           V Rohstoffe 
>>>>  Materialfluß                               V (eigener Marktbedarf)
                                  Technologie    V
                 _______________  des neuen    _______________ 
                |  Erzeugnis-   | Produktes   |  Erzeugnis-   |
         +----->|  entwicklung  |------------>|  produktion   |<-----+
         |      |_______________|             |_______________|      |
unbefrie-|                   |                   V                   |
digte    |         gebrauchs-|                   V        Bedarf an  |
Marktbe- |         wertspez. |         Fertig-   V        produzier- |
dürfnisse|         Parameter |         produkte  V        ten Gütern |
         |                   |                   V                   |
         |                   |                   V                   |
         |                   V                   V                   |
  _______________     _______________     _______________     _______________ 
 |    Markt-     |   |    Markt-     |   |               |   |   Bedarfs-    |
 |  forschung    |   | vorbereitung  |-->|    Absatz     |-->|  ermittlung   |
 |_______________|   |_______________|   |_______________|   |_______________|
         ^                   |                   V                   ^
         |                   |                   V                   |
         |                   |                   V                   |
         |                   V                   V                   |
 =============================================================================

                   MARKT


Basisprozeß eines Unternehmens


Die Umgebung des Unternehmens wird durch den Markt gebildet. Aufgabe der Marktforschung ist es, die Bedürfnisse des Marktes an neuen oder verbesserten Erzeugnissen zu ermitteln. Dazu müssen oft undifferenzierte Informationen verarbeitet werden. Zusätzlich kann auch ein Bedarf an Gütern mit konkreten und bisher nicht realisierten Eigenschaften bestehen. Die Anforderungen, die das Unternehmen realisieren kann oder könnte, werden an den Erzeugnisentwurf übergeben. Hier werden die Herstellungstechnologien (Arbeitspläne) und die gebrauchswertspezifischen Eigenschaften der neuen Erzeugnisse erarbeitet. Zu diesem Prozeß gehört auch die vorausschauende Forschung auf grundlegenden Gebieten, so daß dieser Prozeß stets in der Lage sein sollte, die Anforderungen des Marktes realisieren zu können. In diesen Prozeß fließt das Know-How des Unternehmens für den Entwurf von Erzeugnissen ein.

Das Know-How für die Herstellung von Erzeugnissen muß die Vorlaufforschung in der Erzeugnisfertigung bereitstellen. Die Firma muß stets in der Lage sein, die entworfenen Erzeugnisse auch produzieren (lassen) zu können. Hier zeigt sich auch die Notwendigkeit von Rückkopplungen zwischen den betrieblichen Basisprozessen. Diese sind notwendig, um Fehlentwicklungen oder -investitionen zu vermeiden.

Ist ein neues Erzeugnis entworfen und die Möglichkeit seiner Produktion gesichert, können Erzeugnisfertigung und Marktvorbereitung parallel anlaufen. Die Marktvorbereitung beinhaltet nicht nur die Werbung für das neue Erzeugnis, sondern auch die Schaffung der materiellen Voraussetzungen für den Absatz (was soll z.B. Software auf Compact Disks ohne entsprechende Laufwerke?).

Die produzierten Erzeugnisse werden dem Absatz übergeben. Dieser kann, bevor er sie auf den Markt bringt, noch auf eine Vollzugsmeldung der Marktvorbereitung warten. In Japan ist es zum Beispiel üblich, mit neuen Produkten so lange zu warten, bis ein Großteil des Bedarfs daran auf Anhieb gedeckt werden kann. Dies wird unterstützt durch gezielt anlaufende Werbekampagnen bei gleichzeitiger "Überschwemmung" des Marktes.

Die Bedarfsermittlung hat die Aufgabe, die Rückkopplung des Marktes zur Fertigung zu gewährleisten. Über den konkreten Bedarf kann somit schnell in die Produktion eingegriffen werden, es werden Überproduktionen bzw. Marktlücken vermieden.


Für den weiteren Entwurf des CIMARS-Konzepts werden wir von dieser Basis ausgehen, so unvollkommen sie auch sein mag. Jedem Basisprozeß ordnen wir einen Steuerungsprozeß zu, der für seine Realisierung verantwortlich ist. In einem Unternehmen wird diese Steuerung unter den Begriffen "Leitung" oder "Management" zusammengefaßt. Das Management gliedert sich demzufolge in die Steuerungsprozesse für die Marktforschung, den Erzeugnisentwurf, die Marktvorbereitung, die Erzeugnisfertigung, den Absatz, der Bedarfsermittlung und der Koordination dieser Prozesse auf Unternehmensebene. Es entsteht eine hierarchische Unternehmenssteuerung. Betrachten wir diese Struktur aus der Sicht der Fertigung, so können wir das Factory Automation Model als einen Teil der CIMARS-Struktur wiedererkennen. Es fehlen jedoch die CAD- und Produktionsdatenverwaltungsprozesse auf der Unternehmensebene, sie befinden sich in einer anderen Staffel der Hierarchie.


                                .............................
                                :   _____________________   : Factory
                                :  |                     |  : Automation
      +-------------------------:->|  Koordination des   |  : Model
      |            +------------:->|                     |<-:-----------+
      |            |           +:->|    Unternehmens     |<-:+          |
      |            |           |:  |_____________________|  :|          |
      |            |           |:            ^              :|          |
      |            |           |:.......     |      ........:|          |
      |            |           |       :     |      :        |          |
      V            V           V       :     V      :        V          V
 __________   __________   __________  : __________ :  __________   __________
|          | | Koord. d.| | Koord. d.| :|          |: |          | | Koord. d.|
| Koord. d.| |  Markt-  | | Erzeugn.-| :| Koord. d.|: | Koord. d.| | Bedarfs- |
|  Markt-  | | vorberei-| | entwick- | :| Erzeugn.-|: | Absatzes | |  ermitt- |
| forschung| |   tung   | |   lung   | :| fertigung|: |          | |   lung   |
|__________| |__________| |__________| :|__________|: |__________| |__________|
                                       :............:


CIM-Grobprozeßstruktur des CIMARS-Konzepts



Die Koordination des Unternehmens erteilt Aufträge an die untergeordneten Koordinationsprozesse, die die Arbeit von Bereichen des Unternehmens steuern. Diese haben zur Bewältigung der Aufgaben die Ergebnisse der anderen Prozesse abzurufen, d.h., Informationen über die Produkte werden nicht auf der Unternehmensebene gesammelt und verwaltet, sondern in den einzelnen Bereichen. So können die CAM-Steuerungsprozesse beispielsweise die in der Fertigung benötigten Technologien direkt von den Steuerungsprozessen des Erzeugnisentwurfs abrufen, ohne daß eine übergeordnete Datenbank diese verwalten muß. Der Informationsfluß in einem Unternehmen wird, wie auch der Materialfluß, in der Basis durchgeführt, lediglich seine Lenkung ist die Aufgabe der übergeordneten Steuerung. Insofern können auch die Koordinationsprozesse der unteren Ebenen (und das gilt generell) miteinander kommunizieren, die Grobprozeßstruktur verdeutlicht nur den Informationsfluß, der für die Steuerung notwendig ist und mit den Anwenderprotokollen (Abschnitt 5.2.) beschrieben wird.

Die Struktur der Koordinationsprozesse muß in Abhängigkeit von ihrer Basis festgelegt werden. Dies setzt die Analyse der betrieblichen Basisprozesse voraus. Wie eine derartige Analyse durchgeführt werden kann, haben wir an einem, auf CIM bezogen, kleinen Teil der Erzeugnisproduktion gesehen. Das daraus entwickelte CAM-System kann ein Teil eines zukünftigen CIM-Systems werden. Dazu sind aber noch Erweiterungen, sowohl in der Gestaltung der Schnittstellen zu den anderen Steuerungsprozessen des CIMARS-Konzepts als auch im Ausbau des Systems zur Steuerung der gesamten Produktion, erforderlich.

Eine komplizierte Aufgabe für große Systeme ist die Verwaltung der Datenbestände. Zum einen muß eine relative Konstanz aller Informationen für die nutzenden Prozesse gewährleistet sein, zum anderen müssen sich die Datenbanken auch frei entwickeln können. Die Datenbanken sollten dort geführt werden, wo die Daten entstehen und verändert werden können. Diese Prozesse tragen die Verantwortung für eine widerspruchsfreie Datenbasis. Es wird sich jedoch nicht vermeiden lassen, daß sich die nutzenden Prozesse Kopien der Datenbanken anlegen, schon allein um das Kommunikationssystem nicht zu stark zu belasten. Außerdem benötigen Zugriffe auf externe Datenbanken längere Zeiten als die auf eigene Bestände. Hier ist ein gut funktionierender Änderungsdienst notwendig, da nach der Erstellung einer neuen Version einer Datenbank ggf. alte Daten noch benötigt werden (z.B. für Produkte, die sich bereits in der Fertigung befinden).

Zur Verbesserung der Entscheidungsfindung müssen alle Prozesse des CIMARS-Konzepts durch strategische und operative Planungs- und Beratungsprozesse (Decision Support Systems) unter Einsatz von Expertensystemen ergänzt werden. Die Realisierung dieses Konzepts ist eine anspruchsvolle, aber durchaus lösbare Aufgabe. Sie könnte die CIM-Welt auf ein neues Niveau heben.


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  Copyright © 1997 by
Dr. Uwe Doetzkies

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Original © 1990 by Dresden University of Technology; Dept. of Information Science; Applied Computer Science